Sogar in Klagenfurt. Dort versammeln sich jedes Jahr deutschsprachige Autoren zur Ausgabe eines „Abschlusszeugnisses“, des Ingeborg-Bachmann-Preises. Gar trefflich spricht Helene Hegemann, 22, über… die eingeladenen Autoren. Deren Texte würden unter anderem handeln 

  • von Alzheimer
  • vom Leid des Wehrmachtsgroßvaters
  • von einer Nerzzucht in der DDR
  • vom Analverkehr
  • von der Konversation zweier Asylanten

Deutsche – nein – große Literatur eben. Der Analverkehr. 

Das Problem, meint Hegemann, sei die Haltung. Sei der Zwang, sich jedes Lächeln zu verkneifen aus Angst, dass „ein vom Untergangsgestus abweichendes Verhalten die eigene Daseinsberechtigung als Künstler in Frage stellen könnte“. Es ginge halt immer nur um Gier und Liebe und Tod und Krankheit und Zustände dauernder Melancholie: „ Das ausgetrocknete Leichentuch liegt auf dem Boden“.

Nicht deutsche, nein, moderne Literatur. Ich hab da nur Mitleid. Als Arzt. Und ahne, welche Tabletten hier geschluckt werden. Ich meine, wenn schon Tod, dann doch bitte:

„denn nah am Tod sieht man den Tod nicht mehr
und starrt hinaus, vielleicht mit großem Tierblick…“

Oder den Blick nach vorne:

„Das freie Tier hat seinen Untergang stets hinter sich
und vor sich Gott, und wenn es geht,
so geht’s in Ewigkeit…“

Oder direkt und genau in die Mitte und meine Seele weit aufreißend:

„…oder dass ein Tier, ein stummes, aufschaut, ruhig durch uns durch…“

Schon mal einem Reh begegnet? Zwei Meter vor Ihnen? Ganz ruhig, ganz still. Das soeben handgeschnitzte Äpfel schmaust und… aufschaut, ruhig durch uns durch. Wohin???

Wie ER das so schreiben konnte. Innerlich kniee ich vor ihm. Wie ER erkannt hat, wie ER wusste, dass ein Tier…

„…mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene.
Nur unsere Augen sind wie umgekehrt…“

Sie haben IHN erkannt. Rilke. Er ist der zweite. Wir haben zwei deutsche Dichter.

Moderne deutsche Literatur, also der Analverkehr, ist nicht so ganz meine Sache. Und ausgetrocknete Leichentücher auf dem Boden… wie soll man solchen Menschen helfen?

Quelle: 1. Spiegel 29/2014, S. 118, 

2. Rilke. Die achte Elegie. Rudolf Kaßner zugeeignet.