Dazu Dr. U. Pollmer: Über Stubenhocker, denen das Sofa zum Sargnagel werden könnte "Ist Sitzen das neue Rauchen? Müssen jetzt alle Sessel und Sitzgarnituren auf den Sperrmüll? Immer häufiger begegnet uns die Warnung: "Sitzen ist das neue Rauchen!" Werden wir in Zukunft im Stehen arbeiten müssen oder stammen die Ergebnisse von hyperaktiven Forschern, die einfach nicht still sitzen können? Haben Sie schön gehört? Sitzen ist total ungesund. Stühle sind schon schlimm genug, aber Sofas haben sich als Sargnägel entpuppt. Einstimmig warnt der Chor der Ratschläger: "Sitzen ist das neue Rauchen." Medizinexperten, also Personen, die dazu in den Medien zu Wort kommen, können das Risiko sogar auf die Minute genau angeben: Jede Stunde auf der Couch kostet "22 Minuten Lebenszeit. Im Vergleich: Eine Zigarette senkt die Lebenserwartung um elf Minuten." Da raucht man doch lieber eine im Stehen auf dem Balkon, als auf dem Sofa mit nervenden Sendungen wie "Visite" seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Studien von überall her zeigen: Wer viel sitzt, der beißt früher ins Gras. Schaut man sich die Daten genauer an, steckt dahinter gewöhnlich ein statistischer Kunstgriff: Das Ergebnis lässt sich leicht manipulieren, wenn man Personen mit dabei hat, die auf den Rolli angewiesen sind, oder Patienten, die sich durch Joggen oder Diäten die Knochen ruiniert haben. Denn die sind danach alle "unsportlich". Es ist schon auffällig, wie bei Sportstudien zwar wahlweise Krebspatienten, Diabetiker oder Herzkranke ausgeschlossen werden – aber möglichst nicht die Gehbehinderten, die Menschen mit kaputten Gelenken und solche, die starke Medikamente einnehmen. Ist das Essen das eigentliche Problem? Jetzt wollen Regensburger Forscher in einer großen Meta-Studie herausgefunden haben, dass "Sitzen" geradeso wie Tabak Krebs verursacht – ja, Lungenkrebs und Gebärmutterhalskrebs. Was aber noch erstaunlicher klingt, ist ihre Feststellung, dass der nachteilige Effekt des Sitzens nichts mit der Bewegung zu tun hat. Rumhocken war statistisch auch dann mit einer höheren Krebsrate verbunden, wenn die Menschen sportlich waren, keine Gelegenheit zum Joggen oder zum Work-out ausließen. Über die Größe des Effektes soll die Art des Sitzens entscheiden: Vor dem Fernseher sei es viel riskanter als am Arbeitsplatz. Wer in angespannter Haltung jeden Tag konzentriert in den Bildschirm starrt, bis ihm der Rücken wehtut und die Augen brennen, dessen Leben ist natürlich weniger bedroht, als wenn er sich daheim bei einer Talkshow zu Tode langweilt. Was schließen wir daraus? Wenn Stehen gesünder ist, gehen wir halt in eine Stehkneipe zum Essen. Doch die Autoren glauben selbst nicht an ihre Ergebnisse, sie vermuten nun das Essen als den echten Grund. Wenn die Studie schon keinen Sinn ergibt, dann studieren wir halt die Speisekarte. Das passt gut, weil in der Meta-Studie die Daten zum Verzehr nicht ausgewertet wurden. Zweifelhafter Zusammenhang zwischen Krebsrisiko und Sitzmöbel Beim Lungenkrebs erahne ich die Idee ja noch: Wer das Pils vor lauter Durst in den falschen Hals kriegt und sich auch noch an Chips verschluckt, tut seiner Lunge keinen Gefallen. Aber bei der Gebärmutter? Was gucken die bloß für Filme? Bevor wir uns den Kopf weiter zerbrechen, prüfen wir lieber, was die Meta-Analyse überhaupt taugt. Leider fehlt sowohl die Gesamtkrebsrate als auch die Sterblichkeit bzw. die Lebenserwartung. Damit ist das Ergebnis der Studie zwar politisch korrekt, rein wissenschaftlich aber unglaubwürdig. In ihrer Gesamtheit erwecken die Daten nicht gerade den Eindruck, es bestünde ein realer Zusammenhang zwischen Krebs und Sitzmöbel. Es ist also egal, was Sie auf Ihrem Sofa so treiben. Wenn sich jemand daheim bequem im Fernsehsessel zwei Stunden Lifestyle-Sendungen zumutet und aus Langeweile zwei Zigarettchen raucht, dann hat er – wenn man den statistischen Unfug für bare Münze nimmt - theoretisch eine Stunde Lebenszeit verloren. Man kann es auch anders sehen: Wenn er auf die tollen Sendungen verzichtet, gewinnt er rein praktisch zwei Stunden, beispielsweise um sich mit ein paar Comics zu amüsieren. Comics, die nannte man früher "Schundhefte". Die gefährdeten nämlich die körperliche und geistige Gesundheit der Jugend. All das, was heute dem Junk Food unterstellt wird, drohte uns Kindern damals vom Lesen der Comic-Hefte – auch damals waren sich alle einig, Lehrer, Eltern und Ärzte."