verspricht Ihnen Walt Whitman schon 1858 in seinem berückenden Büchlein „Der schöne Mann“. Ein Ratgeber. Eine Gebrauchsanleitung. Auch für „Dich, Du Mann des Sitzfleisches“.

Und wie findet man den Weg in das „echte Leben“? Dazu braucht Whitman keine Studien. Keine Geräte. Keine Messungen. Keine Blutanalysen. Er benutzt einzig und allein seinen gesunden Menschenverstand. Seine Ratschläge nimmt man ihm deswegen ab, weil er sie offensichtlich selbst befolgt. Daher auf Grund seiner persönlichen Erfahrung felsenfest von der Richtigkeit seiner Thesen überzeugt ist. Also wirkliche Glaubenssätze weiter gibt.

    Solchen Menschen hört man zu. Man spürt, wenn ein Mensch wahrhaft und ehrlich von dem, was er verkündet, überzeugt ist. Ganz einfach, weil er es selber tut. Der beste, wohl der einzig wirkliche Beweis für Richtigkeit. Hat ja schon Max Planck (zu meiner immerwährenden Überraschung) behauptet.

Und so fängt er uns ein, Walt Whitman, der New Yorker Dandy, in seiner listigen, poetischen Art. Genießen Sie doch einfach mit:

    „Bist du Student, so studiere auch deinen Leib und ertüchtige ihn auf männliche Weise, und bald wirst du feststellen, dass eine breite Brust, zwei muskulöse Arme und zwei sehnige Beine dir just die gleiche Anerkennung verschaffen und dir dein künftiges Leben hindurch ebenso zur Verfügung stehen wie deine Geometrie, deine Geschichtswissenschaft, deine Klassiker, deine Jurisprudenz, Medizin oder Theologie. 

    An dich, Lohnschreiber, Literat, Mann des Sitzfleisches, Glücksritter, Müßiggänger, der nämliche Rat: Aufgestanden! Die Welt (vielleicht siehst du sie eben jetzt mit bleichen und widerwilligen Augen an) steckt für dich voller Genuss und Schönheit, wenn du sie mit der rechten Gesinnung angehst! Hinaus in der Früh!

    Lass dich nicht gleich entmutigen. Gönne unserem Rat einen längeren Versuch – nicht bloß ein paar Tage oder Wochen, sondern mehrere Monate hindurch.

    All das, schlicht genug, behaupten wir, reicht hin, das Leben zu revolutionieren und es aus seinem Schaustück der Düsternis, Schwäche und Unschlüssigkeit in echtes Leben zu verwandeln, sodass es zu einem Universum voller Möglichkeiten zum Glück wird, voller gutgesinnter, zärtlicher Männer und Frauen, wo der wohltätige Gang der Natur nie erlahmt, wo die Sonne scheint, die Blumen blühen, die Ähren sprießen, die Wasser fließen, wo kein Wunsch unerfüllt bleibt, wenn nur der Mensch in der rechten Stimmung ist, sich als Teil der universellen Kraft und Lebenslust zu empfinden. Dies vermag er nur mittels Verstand, Wissen und Abhärtung – kurz, durch ständige Leibesübung; denn darauf läuft das Ganze hinaus.“

Glauben Sie mir: Wenn Sie diese Melodie, dieses Lied 277 gedruckte Seiten durchhalten, dann sind Sie gefangen. Verzaubert. Mitgerissen. Ich ahne, dass Whitman viele Tausende so auf den Weg gebracht hat. 

Es lohnt sich. Besonders vergnüglich die Handzeichnungen von Turnübungen. Mein Lieblingsbild: „Knabe bei Sprung in den See“ auf Seite 122.

Quelle: Walt Whitman „Der schöne Mann“ bei dtv 2018.