Warum bis heute eine Kalorie nicht gleich eine Kalorie ist

Im Jahr 1944 wurde ein aus heutiger Sicht reichlich unethisches Experiment durchgeführt. Man hat 36 junge, gesunde Männer für 24 Wochen lang hungern lassen. Nach diesen 24 Wochen waren die Männer nur noch Haut und Knochen. Zudem litten die Männer in diesen 24 Wochen unter schlimmen Folgeerscheinungen wie:


  • starke Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit
  • ihnen war ständig kalt
  • Rückgang der Körpertemperatur
  • sie haben auffällig viel geschlafen
  • sie haben den ganzen Tag von Essen phantasiert
  • sie litten unter Erschöpfung
  • sie litten unter Apathie und Depressionen

Was genau hat man mit ihnen gemacht? Sie wurden unter kontrollierten Bedingungen in der Studie gehalten, d. h. sie konnten die Forschungseinrichtung nicht verlassen. Und ihnen wurde die Energieaufnahme von 3100 kcal auf 1570 kcal reduziert. Hier ist wichtig anzumerken: Sie bekamen weiterhin 225 g Kohlenhydrate am Tag.

Einfach ausgedrückt hat man ihnen den typischen Tipp zum Abnehmen gegeben: Iss die Hälfte und beweg Dich mehr. Wenn Sie das einmal ausprobiert haben, werden Sie sich ein Stück weit bei den Folgeerscheinungen wiederfinden – insbesondere wenn Sie Ihren Abnehmplan etwas länger durchgehalten haben. Ich weiß noch von meiner Mutter, dass es ihr ähnlich ging beim Thema „Von Essen phantasiert“, wenn sie mal wieder eine neue Diät ausprobiert hatte.

Warum funktionieren solche Diäten bzw. Ratschläge nicht? Und wieso funktionierte es bei John Yudkin, der 20 Jahre später ein ähnliches Experiment durchgeführt hat? Bei ihm bekommen 11 gesunde Teilnehmer ebenfalls eine kalorienreduzierte Ernährung von nur 1560 kcal. Doch hier reduzierte Yudkin die Kohlenhydrate von 216 g auf 67 g. Diese Teilnehmer dieser Studie beklagten sich, im Gegensatz zu Ancel Keys Studie, nicht über Hunger oder irgendwelche negativen Auswirkungen der Kalorienreduktion. Im Gegenteil, sie berichteten, dass sie sich sogar besser fühlen. Und das mit 10 kcal weniger pro Tag. Wie konnte das sein, obwohl doch eine jede Kalorie angeblich exakt gleich gewertet werden soll.

Die Antwort ist, dank Prof. Ben Bikman, von dem ich sehr viel gelernt habe, im Jahr 2023 sehr einfach zu geben:


Insulin


Insulin ist ein Masterhormon im Menschen. Hormone sind sozusagen Signale oder Anweisungen an Zellen, etwas zu tun. Solange Insulin hoch ist, kann Glukagon, ein weiteres Hormon im Menschen, nicht wirken. Insulin überstimmt Glukagon. Erst wenn Insulin auf ein niedriges Niveau fällt, startet die Wirkung von Glukagon. Wieso ist das so wichtig?

Solange Insulin hoch ist, produziert die Leber z. B. keine Glukose wie auch keine Ketonkörper, ein weiterer Energieträger im Menschen. Unser Gehirn kann mit zwei verschiedenen „Treibstoffen“ arbeiten: Glukose oder Ketonkörper. Fehlen Ketonkörper, ist das Gehirn mit seinem Tagesbedarf von ca. 500 kcal komplett auf Glukose angewiesen. Wenn der Glukosespiegel nun mangels Nahrungsaufnahme fällt, produziert der Körper bei zu hohem Insulin Cortisol, ebenfalls ein Hormon, welches Stress signalisiert. Eine Aufgabe von Cortisol ist es, den Blutzuckerspiegel für das Gehirn auf einem gesunden Level zu halten, koste es, was es wolle. Denn ein Weg, dieses Ziel zu erreichen, ist der Abbau von Muskeln. Das Eiweiß der Muskeln wird in der Leber zu Glukose umgewandelt und dem Körper als Energie bereitgestellt. Doch es passiert noch mehr infolge eines zu hohen Insulinspiegels. Normalerweise signalisiert Insulin einen Überschuss, d.h. alle Zellen bekommen das Kommando, neue Eiweiße zu bauen. Doch weitaus schlimmer ist, dass der Körper infolge des Zustandes „hohes Insulin bei gleichzeitig zu wenig Kalorien“ die Schilddrüse runterregelt. Ein Schutzmechanismus. Das erklärt, warum die Männer bei Ancel Keys Studie froren oder warum sie so müde waren.

Bei Yudkin passierte biochemisch etwas vollkommen anderes. Die Studienteilnehmer bekamen eine Low Carb-Ernährung mit reduzierter Gesamtenergiemenge. Dadurch konnte der Körper seinen natürlichen Mechanismus der Entbehrung starten, nämlich die Produktion von Ketonkörpern durch die Verbrennung von Fett. Wissenschaftler wie Ben Bikman gehen heutzutage davon aus, dass das menschliche Gehirn komplett auf eine Versorgung mit Ketonkörpern umschalten kann. Die Panikreaktionen durch Cortisol im Körper der Low Carb-Ernährten bleibt daher aus und ist der Grund, weshalb diese Studienteilnehmer eben nicht die oben genannten massiven Symptome wie 20 Jahre zuvor in der Gruppe von Ancel Keys hatten.

Das gleiche Ergebnis zeigt sich in der Studie von Eric Westman. Er hat 120 Teilnehmer auf zwei Gruppen zufällig verteilt: Low Carb High Fat und Low Fat High Carb plus ebenfalls einer starken Reduktion der Energiemenge. In der Low Fat High Carb-Gruppe sind doppelt so viele Teilnehmer ausgestiegen. Sie konnten diesen Plan einfach nicht durchhalten. Und es kommt in der Studie von Westmann, wie bei Yudkin, in der Low Carb-Gruppe nicht zu den oben beschriebenen Symptomen.

Zusammengefasst bedeutet das für Sie: Wenn Sie abnehmen möchten, dann müssen Sie Ihren Insulinspiegel senken, denn in aller Regel ist der erhöht, z.T. sehr stark erhöht. Und Sie müssen auf eine gute Versorgung mit Eiweiß achten. Dann purzeln die Pfunde. Wenn Sie das Thema Insulin vertiefen möchten, dann kann ich Ihnen mein Buch „Von Zucker, Blut und Brötchen“ ans Herz legen. Dort beschreibe ich ausführlich die verschiedenen Aufgaben von Insulin und Glukagon. Im Buch „Der Fastenkompass“ hingegen beschreibe ich die verschiedenen Gefahren eines zu hohen Insulinspiegels.


Quellen:

Keys, A., Brozek, J., Henshel, A., Mickelson, O., & Taylor, H.L. (1950). The biology of human starvation, (Vols. 1–2). Minneapolis, MN: University of Minnesota Press

Nutrient Intake of Subjects on Low Carbohydrate Diet Used in Treatment of Obesity, John Yudkin et al, 1970

A Low-Carbohydrate, Ketogenic Diet versus a Low-Fat Diet To Treat Obesity and Hyperlipidemia, Eric C. Westman et al., 2004


Über den Autor:


“Robert Krug beschäftigt sich seit 2016 intensiv mit dem Thema Gesundheit und Ernährung im Hinblick auf die Biochemie des Menschen. Seit 2019 veröffentlicht Robert Krug Bücher zu den Themen genetisch korrekte Ernährung und zur ganzheitlichen Betrachtung des Menschen. Doch lassen wir ihn selbst einmal zu Wort kommen, wie er seinen Weg zur Biochemie gefunden hat:

"Ich liebe es, Probleme zu lösen. Das wird mit ein Grund dafür gewesen sein, dass ich 1994 Wirtschaftsinformatik studiert und warum ich leidenschaftlich gern Software programmiert habe. Mein Weg zur ganzheitlichen Medizin erfolgte aus der Not heraus, da ich in 2016 selbst erkrankte und von der Schulmedizin leider keine Hilfe bekam. So fing ich an, mich Stück für Stück mit meinen Problemen zu beschäftigen und zu lesen, um den Problemen auf den Grund zu gehen. Also das gleiche Vorgehen wie bei der Arbeit. Das war sozusagen der Start für mein inzwischen leidenschaftliches Interesse an der Biochemie und somit der Start meiner Reise." ”