Ab und zu erwischt es einen. Trifft es einen mitten in die Seele. Jäh. Unvermutet. So kürzlich im Zeit-Magazin der Satz des Psychotherapeuten Schmidbauer:

    „Was wir erinnern, soll uns das Leben erleichtern und nicht beschweren.“

Kurz innehalten. Nachdenken. Erinnerung soll also schön sein. Soll uns strahlen lassen. Glücksgefühle auslösen. Soll.

Was tut’s in der Regel? Uns beschweren. Wir werden nachdenklich, oft traurig. Sehen Sie: Deswegen habe ich sämtliche Fotos aus meiner Jugend, aus meiner Vergangenheit vernichtet. Sämtliche! Sie wissen warum: Man vergleicht sich. Mit damals. Mit der „glücklichen Jugend“. Mit den Erfolgen im Wettkampf, als man strahlend die Ziellinie überquerte. Und es heute nicht mehr kann.

Sehen Sie: Deswegen besuche ich keine Klassentreffen. Sehen Sie: Deswegen mag ich sie nicht, die Versammlungen mit der eigenen Familie. Was wird da besprochen? Stets und immer die Vergangenheit. Weißt du noch…? Natürlich weiß man noch. Das ist es ja eben. Das ist ja das Schlimme.

Noch einmal: Was wir erinnern, soll uns das Leben erleichtern und nicht beschweren. Ein Goldener Satz.

    Wenn begriffen, was tun? Sie haben zwei Möglichkeiten

  • Sie selektieren. In bewusster Arbeit sammeln Sie einige wenige glücklichere Erinnerungen. Momente der Leichtigkeit. Und kultivieren die. Rufen die stets und stets und immer wieder ab. Zum Beispiel beim Einschlafen. Genauso schlafe ich ein. Mit einem Lächeln. Unbewusst. Es gibt sie doch in Hülle und Fülle, die glücklichen Momente der Vergangenheit. Bringen Sie sich diese Momente vor das geistige Auge. Steigen Sie ein, erleben Sie die Gefühle (ganz wichtig) von damals auch heute. Das Leben wird einfacher. Denn – ich habe Ihnen das unzählige Male versichert – das hat Wirkungen ins heute. Ins jetzt. Man verändert sich. Man verändert nämlich die Moleküle im Gehirn. Den Stoffwechsel. Und der bleibt dann. Immer ein bisschen mehr. Erinnern Sie sich noch an den Moortümpel? Stichwort DVD Kultseminar, dritter Teil.
  • Sie haben noch eine zweite Möglichkeit. Die mich momentan sehr beschäftigt. Sie könnten nämlich Kinder beobachten. Könnten einfach Unterschiede herausarbeiten zwischen dem Glück der Vierjährigen und ihrem „schweren“, verantwortungsvollen, trübsinnigen Leben. Zum einen: Die hüpfen. Die springen. Die bewegen sich. Unablässig. Warum tun Sie´s nicht? Warum tun Sie´s nicht wenigstens ritualisiert? Warum glauben Sie wirklich an die dämlichen 30 Minuten täglich? Das soll doch nur der Einstieg werden. Hüpft ein Kind nur 30 Minuten täglich?

Ein Kind tut noch etwas anderes. Das guckt. Das bewegt unablässig den Kopf. Das konzentriert sich ständig auf etwas anderes. Auf etwas Neues. Deshalb kann man Kinder ja auch so leicht ablenken. Die verharren nicht im Erlernten, im Geprägten, in der Vergangenheit. Die wollen, die müssen Neues dazu lernen. Sonst wären sie ja nicht lebensfähig.

  • Also könnten Sie sich angewöhnen, ab sofort, in diesem Moment, zu gucken. Herumzugucken. Das Bild an der Wand, der Stuhl da links, der Ausblick aus dem Fenster, vielleicht sogar Ihre Frau am Klavier… versuchen Sie alle paar Sekunden etwas anderes anzugucken. Ihr Gehirn mit Neuem zu beschäftigen. Nicht zu tun, was Sie bisher getan haben: Kaum sehen Sie einen Schmetterling, schalten Sie ab. Ach ja. Schmetterling. Haben ein Bild vom Schmetterling aus dem Atlas im Kopf. Und sehen nur noch das Bild, nicht mehr den Schmetterling selbst. Sie verharren, Sie erstarren in der Vergangenheit. Das nennt man Alter.

Sehen Sie: Jugend oder Alter sind keine fixierten Zustände, wie man Ihnen tagtäglich einredet, sondern werden von Ihnen gemacht. Entweder bewegen Sie Ihren Kopf unablässig, gucken herum, tanken Neues, oder Sie sitzen rigide, starr, unbeweglich auf der Parkbank. Den Stütz-Stock zwischen den Beinen. Und tönen mit tiefer Stimme von der Vergangenheit. Immer die gleichen Gedanken, immer die gleichen Sätze.

Wann endlich wachen Sie auf? Wann endlich nehmen Sie mich wörtlich? Erschaffen Sie sich selbst neu! Ist jedem möglich. Fängt an mit der Bewegung. Unablässig. Setzt sich fort mit dem Gucken. Mit der Beschäftigung des Gehirnes. Das alles sind Handlungen. Und Handlungen werden einzig und allein von Ihnen gesteuert.

Sie sind verantwortlich. Der Satz ist nicht bedrückend, sondern etwas Herrliches. Sie haben Ihr Leben selbst in der Hand. Hat die Gesellschaft, haben die Parteien, hat die Genetik, hat die Wissenschaft Ihnen ganz anders erzählt. Weshalb? Na, du meine Güte: Da sitzen immer die gleichen… Flaschen. Entschuldigung.

Sind Sie wenigsten bei „Flasche“ aufgewacht? Bewusste Provokation.