Schon wieder einer. Ein neuer Glück-Ratgeber. Reiht sich ein in eine fast unendliche Kette von wohlmeinenden Büchern. Heißt diesmal „Die Formel für Glück“, erscheint 24.11.2017.

Nur: Unterscheidet sich. In der Tonart. Erkennen Sie schon an der Überschrift zu dieser News.

Hier nämlich geht es um Eigenverantwortung. Um das „das Leben selbst in die Hand nehmen“. Und das formuliert der Autor Mo Gawdat, ein Ingenieur, ziemlich gnadenlos. Wäre dann der Ansatzpunkt für meine Kritik als Arzt. Der ich zwar exakt der gleichen Meinung bin, aber doch zu Mitleid mit Ihnen neige. Darf ich erklären? Wir lesen hier:

  • Was ist Glück, Herr Gawdat?
      Glück beginnt mit einer bewussten Entscheidung. Jeder Mensch hat die Wahl, ob er glücklich oder unglücklich sein will.
  • Wirklich so einfach? Warum sind dann so viele Menschen unglücklich?
      Gegenfrage: Warum sind so viele Menschen übergewichtig?
  • Weil sie zu viel essen und sich zu wenig bewegen?
      Richtig. Aber es reicht nicht das zu wissen. Man muss sich auch demensprechend verhalten. Wenn Sie heute ein Stück Kuchen essen, dann gehen Sie morgen früh eben joggen. Wenn es Ihnen wichtig ist, dann klappt es auch. So viele Menschen sind nur deshalb unglücklich, weil glücklich sein nicht ganz oben auf der Prioritätenliste ihres Lebens steht.

Finde ich ziemlich gnadenlos. Wenn auch richtig. Wenn sich Ihre Gedanken, Ihr Trachten, Ihre Träume nicht ständig um das Glück drehen… was erwarten Sie dann? Energy flows, where attention goes.

Die Huna hatten schon immer Recht.

Und die Behauptung: „Jeder Mensch hat die Wahl, ob er glücklich oder unglücklich sein will“ klingt doch recht harsch. Jeder von Ihnen würde sofort Entschuldigungen anbringen dafür, dass er gar keine Wahl hat. Seine soziale Lage. Die kaputte Ehe. Die missratenen Sprösslinge. Der böse Chef. Kurz und gut: Schuld sind immer die anderen. Wir hatten das Thema bereits.

Aufwachen? Einmal sich stolz auf sich selbst besinnen? Pustekuchen. Aber da folgen ja noch ein paar andere Bemerkungen:

    „Wer nach London fährt und Sonnenschein erwartet, ist enttäuscht, wenn es in Strömen regnet. Demjenigen, der einen Regenschirm einpackt, passiert das nicht. Es ist nicht der Regen, der Sie glücklicher oder unglücklicher macht, sagt Gawdat, sondern Ihre Erwartung.“

Da hat er Recht. Wenn ich an den Gardasee fahre und ganztags Sport treiben möchte… erwarte ich, ohne viel nachzudenken, blauen Himmel, und bin enttäuscht, wenn es regnet. Mein Fehler. Denn:

    „Glück resultiert nicht aus dem, was das Leben uns gibt. Es ist eine Frage der Perspektive, mit der man an das herangeht, was das Leben einem hinwirft.“

Das muss man erst einmal akzeptieren. Das Leben wirft Ihnen etwas hin. Friss, freu dich oder geh daran ein. Schwer zu akzeptieren. Ist aber so.

Dem Autor, Mo Gawdat, war sein Sohn mit 21 Jahren an einer missglückten Blinddarm-Operation gestorben. Solch ein Erlebnis können Sie schwer toppen. Und der setzt sich hin und schreibt dieses Buch.

Genial übrigens, typisch Ingenieur, wie er Ihnen beweist, dass wirklich Sie selbst verantwortlich sind. Dass Sie wirklich die Wahl haben. Dass all Ihre typischen Entschuldigungen sinnlos sind. Wie er das schafft?

    Er spricht vom inneren Dialog. Dem endlosen Gedankenstrom, der alles, was Sie tun, kommentiert und kritisiert. Negativ. Lästig. Bestimmt unsere Gesichtszüge. Die Mundwinkel nach unten. Sehe ich jeden Tag im Fernsehen.

    Und Mo Gawdat behauptet, dass Sie diesen quälenden inneren Dialog abstellen können und es selbstverständlich auch sollten.

Frage: Kann ich das einfach so beschließen?

    Aber natürlich! Oder haben Sie Ihrem Gehirn schon einmal befohlen, die linke Hand zu heben, und es hat geantwortet: „Ach nö, ich fühle mich heute nicht danach.“. Nein. Denn Sie sind der Boss. Sie machen die Ansagen.

Tenor des ganzen Buches. Sie sind der Boss. Und weder die Ausrede
„Ich bin sozial benachteiligt“. Noch „Ich bin jeden Tag viel zu müde dafür.“ lässt Gawdat gelten. Nein, im Gegenteil. „Sie sind der Boss!“.

Also gut: Dann eben Blutanalyse. Wenn die Energie, der Antrieb, wenn die Motivation da wäre, könnten Sie ja wirklich versuchen, nach diesem neuen Rezeptbuch

glücklich zu werden.

Quelle: Focus 48/2017 Seite 135