Manchmal erreichen mich Briefe, die mich innerlich zerreißen. Die eine Entscheidung zwischen haltlosem Lachanfall und tiefster Resignation fast unmöglich machen. Und die ich Ihnen deshalb einfach weiter geben muss. Staunen Sie doch einfach mal mit: Da schreibt mir ein Zahnarzt ganz aktuell aus seiner Praxis:

Ein offensichtlich überernährtes Ehepaar im besten Alter (sie 65, er 68) besuchen meine Praxis. Beide Diabetiker. Natürlich. Beide berichten von massiven Problemen bei der Einstellung der Zuckerwerte. Natürlich. Sie berichten: "Also wir sind alle drei Monate beim Diabetologen (also quasi dem speziellen Spezialisten für speziell diese Erkrankung) und der schickt uns alle drei Monate zum Augendruck messen. Aber von Parodontose hat uns der nix erklärt. Und (jetzt kommt's) er hat uns gesagt, dass ein Diabetiker sich grundsätzlich genauso ernähren kann, wie jeder andere Mensch auch!!!"

Also alles bestens, alles völlig normal.

Am Besten gefiel mir der Mann. Auf die Ernährung angesprochen, sagte er: "Meine Frau passt da schon sehr auf mich auf, dass ich nicht zuviel Zucker esse! Morgens essen wir sehr lange (etwa 3 Stunden, von 10.00 bis 13.00, damit man sich das Mittagessen spart) und da gibt es nur Wurst auf die Semmeln (!) und Müsli (!), aber so gut wie nie Marmelade!"

Er: 1,80 m, 145 kg.

Sie: 1,65 m, 95 kg.

Frühstück von 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr. Was bin ich doch für ein ahnungsloser kleiner Arzt. So was wusste ich bisher noch nicht. Dass das geht. Wenn man lange genug darüber nachdenkt, wird man demütig. Erkennt man, dass wirklicher Erfolg nicht von Aminosäuren oder Vitamin D, sondern von sehr viel einfacheren Dingen abhängt. Erfolg bei der Volksgesundheit.

Könnte man dem Ehepaar in einem Satz vermitteln: Zucker kommt vom gegessenen Zucker. Wer keinen Zucker isst, hat keinen Zucker. Dann hätte man wohl etwas Wesentliches bewegt.

Der Zahnarzt freilich lässt nicht locker. Das Allerschönste schreibt er am Schluss. Nämlich:

Meine Frau, die mir assistiert, schaut mich an und fragt: "Wie hält Strunz solche Typen eigentlich aus?"

Soviel Mitgefühl von ihr bekomme nicht einmal ich!

Bekomme ich rote Ohren. Soviel Mitgefühl bin ich tatsächlich nicht gewohnt. Danke, Doktor!