Wir alle tragen eine Brille. Durch welche wir die Realität ein bisschen verändert sehen. Und da hat jeder eine etwas andere Brille. So dürfen Sie meine Kritik am Deutschen Gesundheitssystem verstehen.

Ich bin voreingenommen, wie das fast jeder Arzt ist. Weshalb? Weil er eine ganz bestimmte Auswahl der Bevölkerung kennenlernt. Nämlich die Kranken. Per Definitionen. Und häufig vergisst, dass da auch noch ein paar gesunde, fröhliche, zufriedene Menschen durch die Straßen laufen.

Will sagen: Wir schwimmen im Glück (News vom 24.05.2015 www.strunz.com). Und dennoch. Dennoch scheint uns Deutschen ein Glaubenssatz eingepflanzt, den uns Martenstein (Zeit-Magazin Nr. 28 vom 28.05.15) so deutlich wie kaum einer bewusst macht. Darf ich?

„Die Redaktion hat mir die Aufgabe gestellt, einem Flüchtling Deutschland zu erklären:

Wir sind fleißig, aber der Genuss kommt oft zu kurz. Wir Deutschen sind ungerecht, vor allem zu den Frauen. Diese armen Geschöpfe. Die Einkommensschere klafft bei uns immer weiter auseinander, die Armen werden immer ärmer, seit Jahrhunderten schon. Wir haben Vorurteile, aber hallo! Wir teilen nicht gern, feige sind wir auch.

Es gibt nur eine Sache, die in noch mieserem Zustand ist als unser Humor: Unsere Sexualität ist ein Desaster. Die Infrastruktur können Sie vergessen. Brücken, Straßen, Schulen, alles scheiße. Wir sind kinderfeindlich und altenfeindlich. Wir kaufen keine Aktien, obwohl es klug wäre, warum? Weil wir blöd sind. Wir ernähren uns ungesund, deshalb das Übergewicht. Wir bekommen auch schnell Sonnenbrand, falls wir blond sind. Apropos blond: Es gibt immer mehr Nazis, sie sind überall…

Deutschland ist wohlhabend, relativ friedlich und sicher, davon haben Sie gehört, es ist vielleicht auch was dran. Sie werden aber schnell Deutsche kennenlernen, die von ihrem Land eine negative Meinung haben, solche Menschen sind bei uns zahlreicher als anderswo.

Das dumme an der Satire: Jeder einzelne Satz, für sich betrachtet, stimmt ja. Oft leider. Man kann sich allein bei der klaffenden Einkommensschere aufreiben. Zum Revolutionär werden. Magengeschwüre entwickeln. Und dennoch stimmt irgendetwas am ganzen nicht, denn…

wir schwimmen im Glück. Hier in Deutschland. Vergleichsweise! Denn schließlich: Wer kommt zu wem? Wandern wir zu Zehntausenden nach Libyen aus, oder doch wohl die in unsere Richtung?

Vielleicht würden wir alle nicht nur uns, sondern auch der Welt helfen, wenn wir ein bisschen heller denken würden.

Jetzt sind wir beim Thema: Betrifft natürlich auch meine Kritik am deutschen Gesundheitssystem. Die vergleichsweise nicht berechtigt ist. Drum stets mein ausgleichender Satz: Die Medizin kann. Die Medizin ist etwas Herrliches. Die Medizin weiß Bescheid.

Wir alle könnten leben in Hülle und Fülle, voll Lebensenergie, voll Lebensfreude. Wir wissen, wie das geht.

Gilt das jetzt auch für die Politik? Wir wüssten, wie das geht? Das friedliche Zusammenleben, das Teilen von Hülle und Fülle? Ich denke schon. Da gibt es sicherlich den einen oder anderen Wirtschafts-Nobelpreisträger, der uns das gelehrt hat. 

Weshalb klappt´s dann nicht? Weder bei der Gesundheit noch beim friedlichen Zusammenleben? Da haben wir alle unsere höchsteigenen Antworten.

Martenstein bringt mich jedes Mal zum Nachdenken.