Zöliakie im Gehirn
Der Klebereiweißstoff Gluten wird in erster Linie mit Darmproblemen in Verbindung gebracht, klassischerweise mit der Zöliakie, einer genetisch bedingten Immunreaktion gegen Gluten. Weniger bekannt ist, dass Gluten bei einigen Menschen auch im Gehirn eine schädigende Wirkung entfalten kann, auch ganz ohne an einer Zöliakie zu leiden. Viele der Betroffenen zeigen sogar überhaupt keine Symptome im Darmtrakt. Andererseits zeigen Zöliakie-Erkrankte mitunter auch psychiatrische und neurologische Symptome, die durch eine strikte Gluten-Karenz häufig ganz verschwinden.
Dies haben Forscher in England zum Anlass genommen, sich mit den Wirkungen von Gluten auf das Gehirn zu befassen. Vor allem bei dem Krankheitsbild der Ataxie zeigte sich ein direkter Zusammenhang mit dem Verzehr von glutenhaltigen Nahrungsmittelen. Eine Ataxie ist eine Störung der Bewegungskoordination. Sie äußert sich in unkontrollierten und überschüssigen Bewegungen. Bei der so genannten Gluten-Ataxie kommt es häufig zu einer schweren Schädigung des Kleinhirns, dem Zentrum unserer Koordination, der Steuerung der Bewegungsabläufe und der Regulation unseres Muskeltonus. Die Krankheit kann durch eine einfache Blutuntersuchung auf Autoantikörper gegen die so genannte neuronale Transglutaminase (auch bekannt als Transglutaminase 6) nachgewiesen werden.
Zu Beginn macht sich die Gluten-Ataxie mit leichten Bewegungsstörungen bemerkbar, und Neurologen behandeln fast immer auf eine Multiple Sklerose. Dadurch schreitet die Kleinhirnschädigung weiter fort.
Obwohl die Gluten-Ataxie schon lange beschrieben ist und mittlerweile gut untersucht und einfach diagnostizierbar ist, wird sie fast nie in neurologische Untersuchungen mit einbezogen. Die schädlichen Auswirkungen von Gluten auf das Gehirn können auch zu Epilepsie, Restless-Legs-Syndrom, Migräne und vermehrtem Schmerzempfinden einhergehen.
Auch bei einigen Patienten mit Schizophrenie und Amyotropher Lateralsklerose ließen sich diese Antikörper nachweisen. Wie bereits erwähnt, zeigen viele der Betroffenen keinerlei Symptome einer Darmerkrankung.
Ich selbst teste alle meine Patienten mit neurologischen und/oder psychiatrischen Erkrankungen auf diese Antikörper und bin nach den positiven Wirkungen einer Ernährungsumstellung davon überzeugt, dass viele Krankheiten, wie Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen durch Gluten mit verursacht werden können.
Die Therapie liegt in einer strikt glutenfreien Diät. In vielen Fällen kommt es schnell zu einer deutlichen Verbesserung der neurologischen und psychiatrischen Symptome und nach einigen Monaten zu einem messbaren Rückgang der Antikörper-Titer. Es ist erstaunlich, wie schnell sich viele Symptome bessern, wenn eine STRIKTE (!) glutenfreie Diät eingehalten wird.
Quellen:
Fisicaro F, Lanza G, D'Agate CC, Pennisi M, Cantone M, Pennisi G, Hadjivassiliou M, Bella R. Cerebral hemodynamic changes to transcranial Doppler sonography in celiac disease: A pilot study. Front Hum Neurosci. 2022 Sep 6;16:931727. doi: 10.3389/fnhum.2022.931727. PMID: 36147295; PMCID: PMC9487999.
Zis P, Shafique F, Sarrigiannis PG, Artemiadis A, Rao DG, Sanders DS, Hadjivassiliou M. Sudomotor dysfunction in patients with gluten neuropathy. Neurol Sci. 2022 May;43(5):3381-3385. doi: 10.1007/s10072-021-05751-9. Epub 2021 Nov 17. PMID: 34791566; PMCID: PMC9018627.
Hadjivassiliou M, Croall ID, Grünewald RA, Trott N, Sanders DS, Hoggard N. Neurological Evaluation of Patients with Newly Diagnosed Coeliac Disease Presenting to Gastroenterologists: A 7-Year Follow-Up Study. Nutrients. 2021 May 28;13(6):1846. doi: 10.3390/nu13061846. PMID: 34071336; PMCID: PMC8226493.
Gadoth A, Nefussy B, Bleiberg M, Klein T, Artman I, Drory VE. Transglutaminase 6 Antibodies in the Serum of Patients With Amyotrophic Lateral Sclerosis. JAMA Neurol. 2015 Jun;72(6):676-81. doi: 10.1001/jamaneurol.2015.48. PMID: 25867286.
Über die Autorin:
"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.
Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.