Der Verfassungsrechtler Russell Miller steht im Hörsaal der Washington and Lee University in West Verginia, sein Seminar zum Verfassungsrecht hat soeben begonnen. Er erzählt heute von dem berühmten Fall Roe gegen Wade aus dem Jahr 1973, indem es um die Legalität von Abtreibungen ging.

Miller erklärt: „Es gab in diesem Fall drei Möglichkeiten eines Urteils:

  • Die Richter konnten dem verfassungsrechtlichen Schutz des Lebens das größte Gewicht zumessen.
  • Sie konnten sich für das in der Verfassung geschützte Recht der Frau entscheiden.
  • Oder sie konnten einen Kompromiss finden.“

Ein Student meldet sich und sagt: „Machen Sie Witze? Abtreibung ist Mord!“.

Etwa 300 Mal täglich in Deutschland. Jeden Tag. Wie viel Bücher, wie viel juristische Kommentare, wie viel hunderte von klugen philosophischen Arbeiten sind zum Thema Abtreibung bereits erschienen? Natürlich fast alle von Männern. Von ach so klugen Männern. Von der Elite.

    Von genau der Elite, die vor unser aller Augen abgestraft wurde bei der letzten US-Präsidenten-Wahl. Die deutlich vorsichtiger geworden ist. (TV-Journalist Schönenborn: „Wir Journalisten sind eben gebildeter als das Volk“ Heute hält er sich zurück.)

Da steht so einfacher Student auf, wahrscheinlich Bauernsohn aus Iowa, der also als Kind schon morgens früh um vier in den Stall musste, und stellt schlicht und einfach fest:

    „Das ist Mord!“

Diesen Studenten wird die Elite wohl nicht überzeugen.

PS: Wir alle haben zum Thema unsere Meinung. Wird sehr unterschiedlich sein und abhängig von unserem Status: Alter Mann? Junge Frau? Reich? Arm? …Bewundernswert daher der Mut von Politikern, hier gültige Regeln festzulegen. Freilich … wie so oft wird man den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Und so ein kleiner Wurm jedenfalls kann sich nicht wehren.

PSII: Mit Erlaubnis der Abtreibung wurde in Deutschland der altehrwürdige hippokratische Eid abgeschafft. War nicht vereinbar. Heute gibt es nur noch ein „ärztliches Gelöbnis“.

Quelle: DIE ZEIT, 19.01.2017, Seite 4