sind die landschaftlichen Schönheiten von Hawaii. Der großen Insel. Kultstätte des Ironmans. Der dort im Oktober jedes Jahres zelebriert wird.

Aber eben viel zu schnell, in etwa 10 Stunden. Wenn man die traumhafte Landschaft beginnend mit dem blütenbunten Urwald bis hin zum aktiven Lavafluss am Vulkan wirklich erleben und genießen möchte, sollte man sich ein bisschen mehr Zeit nehmen. Genau das war die Grundidee des Ultraman. Eines 3-Tages-Triathlon rund um die große Insel herum. Eines der großen Abenteuer auf diesem Globus. Auch atem-be-raubend.

Solche Ultra-Wettkämpfe lebt man noch viele Jahre später in Tag-Nacht-Träumen … und erfährt am eigenen Leibe, dass solche prägenden Erlebnisse zur


QUELLE DER ENERGIE


werden. Man braucht sich nur zu erinnern, sich hineinzudenken, hineinzufühlen und … spürt wieder die ungeahnte Kraft, die in uns Menschlein steckt, nur gar selten abgerufen wird.

Über diesen Ultraman Hawaii habe ich einmal einen kurzen Text verfasst. Das Besondere daran: Der wurde diktiert gleich anschließend in absoluter Erschöpfung. Und deswegen ist der Bericht ein bisschen … sagen wir: herb.

Wenn Extremsportler von ihren Wettkämpfen berichten, dann tun sie das einige Tage oder Wochen später. Und da verschiebt sich die Perspektive, auch die Stimmung. Wird etwas geschönt. Das ganz Schlimme hat man glücklicherweise verdrängt oder vergessen. Im folgenden Bericht lassen sich – weil frisch nach dem Wettkampf diktiert – noch ein paar schwarze Gedanken finden.

Wurde veröffentlicht in der Zeitschrift “TRI-ATHLET“, Februar 1990, S. 35. Hier erzählt in drei Teilen. Heute TEIL I.



NONPLUSULTRA – Ultraman auf Hawaii

Durchgestanden und erzählt von Ulrich Strunz


Leer. Keine Kraft mehr. Von einer Sekunde auf die andere reagieren meine Arme nicht mehr. Eben noch im kraftvollen Kraulschlag durch die hohe Dünung pflügend, kann ich mich nun nicht mehr von der Stelle bewegen. Was soll das nur?

Verzweifelt signalisiere ich meine Probleme dem Begleitkajak, klammre mich ans Heck und trinke einen vorbereiteten Kohlenhydrat-Drink. „Drei Stunden, acht Minuten“, ruft mir der immer lächelnde japanische Begleiter zu. Ja, ja … zum Glück funktioniert mein Gehirn noch. Nach drei Stunden sind eben Glykogen-Vorräte in den Muskeln restlos verbraucht, müssen dringend nachgefüllt werden. Und diesen Zeitpunkt habe ich einfach versäumt.

… nach 4 ½ Stunden Salzwasser …



Vor etwas mehr als drei Stunden waren wir in Kona am Pier in der berühmten Ironman-Bucht losgeschwommen. Begleitet vom Lärm der 10.000 Vögel, die traditionsgemäß den Sonnenaufgang in den Bäumen am Pier begrüßen. Der Start kam für mich schnell, irgendwie leicht, ließ erst gar keine Nervosität oder gar Angst wie beim IRONMAN aufkommen. Der Rhythmus war schnell gefunden, schließlich kennt man die ersten Kilometer: flaches Wasser, noch in Sichtweite des Hilton, das wir nach einem Kilometer passierten. Nur noch 9 km – das sollte doch zu machen sein! Tja.

Und jetzt? Noch ein paar Schluck Krafttrunk, immer noch am Kajak geklammert, dann weiter. Schon nach 2-3 Minuten habe ich tatsächlich wieder Kraft in den Armen, die Schlagfrequenz kann erhöht, Zeit aufgeholt werden. Die Dünung nimmt zu, je weiter wir nach draußen schwimmen. Bei jedem Atemzug im schrägen Licht der Sonne das Grinsen oder Lächeln des begleitenden Kajakfahrers. Eine bis eineinhalb Meilen schätzt er noch. Weiter, bloß weiter jetzt.

Um die Monotonie aufzufangen wechsle ich ständig die Armzugfrequenz, korrigiere immer wieder meinen Stil – und denke an meinen Schwimmlehrer (“Sie werdens nie lernen“). Riesige Fischschwärme sind in meiner Nähe: Was die wohl zu diesem unbeholfenen bayerischen Freischwimmer sagen würden, der sich hier als Ultraman profilieren will? Egal … weiter, in dumpfer Trance. Nach langer Zeit endlich wieder einen Schluck Wasser. Inzwischen sind vier Stunden vergangen, immer noch kein Ziel? Was um Himmels Willen ist bloß los hier?

Die Antwort verrät ein etwas genauerer Blick auf den etwa 10 Meter tiefen Boden des Ozeans: Ich treibe auf der Stelle, trotz größter Anstrengung. Vor dieser Strömung waren wir gewarnt worden… aber daß die so stark ist! Wenn ich mich recht entsinne, „stehe“ ich schon seit einer halben Stunde an diesem Punkt, komme keinen Meter voran. „The first day will be the worst“, haben mir alte Hasen unter den Konkurrenten gesagt. Aber was nutzt mir diese Erkenntnis jetzt in meiner Verzweiflung?

Natürlich wusste ich, dass mich hier keine Pool-Verhältnisse erwarten, und auch in der geschützten IRONMAN-bucht sind wir schon lange nicht mehr. „Wir sind hier beim Ultraman“, muss ich mir immer wieder sagen. „Und dass dies kein Zuckerschlecken wird, war dir schließlich schon vorher klar …“. Mobilisieren der letzten Reserven, Änderung der Schwimm-lage, schnelleres Atmen, langsam, langsam die erste Boje. Und dann, endlich, endlich doch ein Abwinkeln in die Zielbucht. Hier plötzlich geht es schnell voran, die Strömung für immer überwunden.

Im Ziel. Im Etappenziel, besser gesagt. Die Beine versagen. Anhalten an der Zielstange, taumeln, torkeln, schnell unter die Dusche. Im Laufen umziehen, Radsachen übergestreift, nur jetzt nicht noch mehr Zeit verlieren.

Viereinhalb Stunden für 10km – unmöglich. Wie immer nach dem Schwimmen bin ich laktat-benebelt, kann keinen klaren Gedanken fassen.

Die ersten Meter auf der Rennmaschine bewältige ich quasi blind und … zack, schon lande ich in der Absperrung! Wer jetzt aufgeben würde, kennt mich schlecht: Irgendwo tief im Inneren lacht so etwas wie ein kleiner Kobold! „Du willst ein Ultraman sein?“ Ich will. Gleichgültig wird aufgestanden, erneut Tritt gefasst, und jetzt mal locker vierzig Minuten steil bergan. Auch so kann man sich aufwärmen.

Fürchterliche Magenkrämpfe schon nach den ersten Tritten: Salzwasser, dazu Cola während des Wechsels – welcher Magen kann so eine Tortur schadlos ohne Protest hinnehmen? Später höre ich, dass auch andere Athleten sich mit Magenkrämpfen in der Wechselzone krümmen … der Arzt in mir kalkuliert: Mageninhalt verdünnen wäre eine Möglichkeit. Aber zu allem Unglück habe ich für den Anstieg keine Wasserflasche angesteckt und ein Versorgungsteam ist 40 Min. weiter, genau wie am Vortag geplant. Mit Krämpfen um diese Zeit habe ich nun wirklich noch nicht gerechnet, wie soll ich das bloß schaffen? Verzweiflung macht sich breit, während ich mit dem Mut derselben weiter nach vorne strample.

Wie so oft in den kommenden Tagen erscheint Dirk Aschmoneit (der erste deutsche Ironman), Begleiter, Berater und Freund, in genau dem richtigen Moment. Er erfasst sofort den Ernst der Lage, fährt voraus, holt Wasser und zieht mich so aus dem Schlamassel. Weiter, weiter. Langsam erfasst mich meine gewohnte Kampfeswut. Der lange Anstieg ist bald überwunden, es folgen „Rolling Hills“ bis zur Südspitze der Insel. Wenn überhaupt, wird hier Zeit gutgemacht. Ich überhole einen Athleten nach dem anderen, alles glücklichere und natürlich bessere Schwimmer als Ultraman Strunz.

Nach 80 Kilometern dann eine rasende Abfahrt bis hinunter zum Meer, das einen traumhaften, dunkelblauen Anblick bietet. Egal, keine Zeit. Denn jetzt soll der gefürchtete Anstieg über 50 km auf den Vulkan kommen. Und der kommt. Und wie … die ersten 5 km noch in voller, wütender Fahrt: später werden die Gänge dann immer kleiner, bis hinunter zu einem 12-15 er Schnitt. Und das drei Stunden lang? Was soll das nur alles? Erste ernsthafte Zweifel überfallen mich. Gedanken ans Absteigen zehren an der Moral, wenn eine von diesen vermaledeiten, gut überschaubaren Steigungen vor einem liegt. Das einzige, was mich noch „aufrecht“ hält, ist der Gedanke daran, dass auch die anderen kämpfen müssen. Hoffentlich viel, viel mehr als ich … kalt wird´s auch noch, mit jeder Minute nimmt der Wind vom Meer wehend zu, alle frösteln. Im Fahren streife ich eine weitere Jacke über, trotzdem bekomme ich bald Halsschmerzen. Auch das noch.

Eine halbe Stunde vor dem Ziel dann Erinnerungsfetzen von Kaffee in Thermosflaschen. Ein Hilferuf beim Versorgungsteam, und schon ist ein halber Liter von der plötzlich so heiß ersehnten Flüssigkeit eingetrichtert. Ein herrliches Gefühl … mit katastrophalen Folgen in der kommenden Nacht, die schließlich zur Ruhe gedacht war, und die ich, wachgehalten vom ungewohnten Koffeinschub, mit rasendem Puls aufrecht im Bett verbringen werde.

Die Einfahrt im Tagesziel wird schon richtig zum triumphalen „Einzug“, ich fühle mich glücklich, als wäre schon alles vorbei. Vom Fahrrad kann ich über 10 Minuten lang nicht absteigen, weil ich sonst vor aller Augen zusammenbrechen würde: und das will ich mir dann doch ersparen. Die peinliche Situation überdecke ich mit Geplaudere, bei dem ich mich über meine eigene Geistesgegenwart wundere. Nach so einem Tag.

Folgt morgen Teil II