Es waren oft die Zufälle, die in der Vergangenheit zu bahnbrechenden Erkenntnissen in der Medizin geführt haben. So war es auch als Professor Dr. Cicero Coimbra, Arzt für innere Medizin und Neurologie, Biochemiker und Professor an der staatlichen Universität Sao Paolo, Brasilien, im Jahr 2002 durch Zufall entdeckte, dass unter höheren Vitamin-D-Gaben (ab 20.000 IE/Tag) Autoimmunerkrankungen der Haut seiner Patienten, zum Stillstand kamen. Das erregte sein Interesse, und er weitete diese Vitamin D-Gaben auch auf andere Autoimmunkrankheiten aus. Im Laufe der Jahre entwickelte er aufgrund seiner Erfahrungen das so genannte “Coimbra-Protokoll”, das seit 2018 von speziell ausgebildeten Ärzten auch in Deutschland durchgeführt wird.

Coimbra ist der Auffassung, dass Autoimmunerkrankungen vor allem dann auftreten, wenn


  • eine genetisch bedingte Verwertungsstörung von Vitamin D vorliegt und daraus ein Vitamin D-Mangel erfolgt

  • und zudem

  • chronischer Stress bzw. emotional belastende Faktoren vorliegen.

Schon lange ist bekannt, dass ein Vitamin D-Mangel ein Risikofaktor für das Entstehen der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose darstellt. Auch für den Diabetes mellitus Typ 1 und die Hashimoto Thyreoiditis wird ein Vitamin D-Mangel als Mit-Ursache disktutiert. In der Praxis hat sich allerdings oft gezeigt, dass eine “normale” Vitamin D-Therapie den gewünschten Therapieerfolg nicht bringt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt – allen wissenschaftlichen Erkentnissen und Labormessungen zum Trotz – weiterhin nur 800 I.E. / Tag für Erwachsene.

So etwas führt dann leider zu ärztlichen Aussagen wie: “Ihr Wert ist doch 30 ng/ml, das reicht vollkommen aus. Jetzt setzen Sie Ihr Vitamin D-Präparat doch mal wieder ab, sonst verkalken Ihre Nieren am Ende noch. Möchten Sie das?”

Es gibt aber auch erfreulicherweise andere Beispiele. Hierzu gehört Professor Dr. Friedemann Paul, Professor am NeuroCure (!) Research Center der Universitätsklinik Charité. Er leitet eine mehrjährige Verlaufsbeobachtung für Patienten mit Multipler Sklerose. Er möchte im Rahmen dieser Studie nachweisen, dass bei sachgemäßer Anwendung der Therapie kein Schaden zu erwarten ist.

Je nach Art der Autoimmunerkrankung und Erkrankungsdauer , können bereits nach 3 Monaten Verbesserungen des Gesundheitszustandes passieren. Besteht die Erkrankung schon über einen längeren Zeitraum, dauert es entsprechend länger, bis Erfolge erreicht werden. Bei ca. 90 Prozent der Patienten wird die Verbesserung der Symptome erzielt. Es ist wichtig, die persönlich richtige Dosierung von Vitamin D zu finden, um die Immunabwehr entsprechend zu regulieren. Insgesamt handelt es sich um eine langfristige Therapie, die außer der Gabe von hohen Dosen (zwischen 300 I.E. und 1000 I.E. pro kg Körpergewicht) noch weitere Komponenten beinhaltet:


  • Bewegung: 3-5 x wöchentlich mind. 30 Minuten leichter Ausdauersport wie Walken, Vibraplate, Springen auf einem Minitrampolin und Muskeltraining

  • Stressprävention / Fähigkeit zur Selbstberuhigung, wie z.B. Meditation und ggf. Psychotherapie

  • Calciumreduzierte Diät, vor allem der Verzicht auf Milchprodukte,

  • Tägliches Trinken von mindestens 2,5 Litern Flüssigkeit: Idealerweise calciumarmes Wasser oder ungesüßter Tee

Die calciumreduzierte Diät dient der Vermeidung hoher Blutkalziumspiegel, die bei einer sehr hohen Gabe von Vitamin D - wenn auch selten - auftreten können.

Eine der ersten deutschen Ärztinnen, die sich von Professor Dr. Coimbra persönlich in Brasilien ausbilden liessen, ist Dr. med. Beatrix Schweiger.

Gemeinsam mit Susanne Sander, selbst durch das Protokoll von ihrer Autoimmunerkrankung genesen, hat sie ein wie ich finde sehr lesenswertes Buch herausgebracht, das ich Ihnen ans Herz legen möchte. Auch wenn Sie nicht an einer Autoimmunerkrankung leiden. Für alle Therapeuten gehört das Coimbra-Protokoll meiner Meinung nach zum Grundlagenwissen.

Lesetipp: Susanne Sander, Beatrix Schweiger: Vitamin D: Heilung gezielt unterstützen und gesund bleiben. Die Therapieoption bei Autoimmunerkrankungen, Trias Verlag, 2023


Quellen:

Finamor DC, Sinigaglia-Coimbra R, Neves LC, Gutierrez M, Silva JJ, Coimbra CG. A pilot study assessing the effect of prolonged administration of high daily doses of vitamin D on the clinical course of vitiligo and psoriasis. Dermatoendocrinol. 2013 Jan 1;5(1):222-34. doi: 10.4161/derm.24808. PMID: 24494059; PMCID: PMC3897595.

Lemke D, Klement RJ, Schweiger F, Schweiger B, Spitz J. Vitamin D Resistance as a Possible Cause of Autoimmune Diseases: A Hypothesis Confirmed by a Therapeutic High-Dose Vitamin D Protocol. Front Immunol. 2021 Apr 7;12:655739. doi: 10.3389/fimmu.2021.655739. PMID: 33897704; PMCID: PMC8058406.

Lebiedziński F, Lisowska KA. Impact of Vitamin D on Immunopathology of Hashimoto's Thyroiditis: From Theory to Practice. Nutrients. 2023 Jul 17;15(14):3174. doi: 10.3390/nu15143174. PMID: 37513592; PMCID: PMC10385100.

https://www.coimbraprotocol.com/


Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.