Gast-News Nr. 24

Eine Gedichtsammlung von Georg Trakl lag heute auf meinem Arbeitsplatz. Jedes einzelne Gedicht ein kleines Erstaunen, sanfte, perfektionierte Rhythmen – und die Themen immer noch relevant.

Georg Trakl lebte in Salzburg, nahm als Apotheker natürlich Drogen. Cannabis und Opium. Seine Mama hat’s ihm vorgemacht. Schade nur, denn: 1887 geboren 1914 gestorben. Hatte in seinem Todesjahr als Militärapotheker zu arbeiten, 2 Tage lang allein, konnte den Hunderten Schwerverwundeten kaum helfen.

Liest man seine Gedichte, kann man sich einfühlen, wie Trakl sich das zu Herzen nahm. Im Lazarett umherrennend, jede Sekunde höchst bemühend. Denn Trakl war Perfektionist. Zerriss seine Gedichte solange, bis sie, im Gegensatz zu Goethe, rund geschliffen waren wie ein eingefetteter Speckstein. Kompromisse machen, Schwerverwundete nicht perfekt heilen zu können, priorisieren zu müssen, Sterbende ignorieren zu dürfen…nichts davon entspricht Trakl’s Gefühlswelt.

Nur: Sein damaliger Geisteszustand hätte ihn heutzutage als Militärapotheker disqualifiziert. Die z.B. US Standards sind hier klar vorgeschrieben.

Abgelehnt werden Soldaten mit Aufmerksamkeitsstörung, Dyslexie, Stimmungsschwankungen, Verhaltensstörungen (wen nehmen die denn dann noch?). Die wissen schon weshalb. Der klare Kopf ist überlebenswichtig.

Sein letztes Gedicht, Grodek, schrieb Georg Trakl wenige Tage vor seinem Tod. Braucht man nur lesen, um die Weltfarben seiner Gefühlswelt kurz vor seinem Suizid 1914…riechen zu können.

Also hat er wohl noch die erste Sitzung der Internationalen Drogenkonferenz von 1911/1912 mitbekommen. Die hatte nämlich eine „drogenfreie Welt“ beschlossen. Lazarette und körpereigene Drogen wohl ausgeschlossen. So etwas kann nur aus einem unbewegten Kopf kommen. Einem sitzenden Denker. Angefettet. Schwere Herren, die mit Zigarre und Rum in Ohrensesseln liegend den Welthandel besprechen. Weltfremd. Schizophren. Der Läufer, jeder Chirurg, jede Krankenschwester, jeder Leistungssportler schüttelt da den Kopf. Und macht weiter…

„Drogenfreie Welt“, das liest sich wie „Hassfreie Welt“. Der Journalist Harald Martenstein war weniger aufbrausend. Fragte 2012 mal, ob denn nicht ein „hassfreier Sonntag“ einführbar wäre? Der wunderte sich nämlich über die andauernden, hasserfüllten Leserbriefe.

Könnte man wieder auf die Natur und Wirkung des Internets runterbrechen. Sie unterschätzen das. Meine Generation ist mit jungen Gehirnen in das Internet reingewachsen. Teil unserer Gefühlswelt geworden. Wir kennen die Weltfarben des Internets.

Das World-Wide-Web ist: Man sitzt vorm PC, angefettet, raucht Joints oder Tabak, trinkt Bier, lernt/arbeitet/recherchiert stundenlang und täglich, ernährt sich von Pizza. Priorisierung, z.B. was lese ich zuerst, ist nicht notwendig, übernehmen Online-Werkzeuge, lernt man nicht. Kompromisse machen braucht man nicht, im Netz finden Sie bis auf „Ohrenschweißfetisch“ alles, Zeitplanung lernt man nicht.

Man kann im Netz praktisch jedes Problem lösen. Sie finden auch Anleitungen, sich schmerzfrei umzubringen. Probleme zu lösen lernt man nicht. Sterbende in blutigen Videos sehen Sie täglich auf liveleak. Abstumpfen lernt man, im falschen Glauben, alles zu wissen. Ist tagelang wach, verdirbt sich seinen Schlafrhythmus, wird spielsüchtig, hört auf, sich zu waschen, denkt dennoch, man sei Herr seines Lebens. Weil – jeder macht das doch.

Man hört auf, natürlich zu reagieren. Computer-Nerds bewegen sich immer so…ungeschickt. Stehen immer so falsch rum. Haben kein Gefühl mehr für natürliche Distanz. Isolieren sich, finden Menschen abstoßend. Putzen ihre Zimmer nicht mehr, räumen nicht auf. Fußballgroße Staubflocken habe ich unter Betten meiner Kommilitonen gesehen.

Bei der Las Vegas Schießerei vor einigen Wochen standen dort Männer meines Alters rum und behaupteten lautstark, völlig verblendet, die Schüsse kämen nicht aus einem Sturmgewehr. Ermutigten Menschen dazu, sich nicht aus natürlichem Reflex heraus zu verstecken, Schutz zu suchen…meine Generation könnte Ihnen so viel über das Netz erzählen. Fake-News war uns 2003 schon präsent, nicht erst 2015.

35% - 70% der Schizophrenie-Kranken haben:

Schlafstörungen
Übergewicht
Diabetes
Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Die Schizophrenie zeigt sich durch

Unhygienischen Lebensstil
Rauchen
Kaum Sport
Nichteinhaltung grundlegender Ernährungskonzepte
Prämorbide Physis (der Körper ist mit Mitte 20 schon ein Wrack)

(siehe Schizophrenia Research Volume 168, Issues 1–2, October 2015, Pages 204-208).

Was für Georg Trakl die Hölle war, ist jetzt sozial akzeptiert. Übrigens ziehen Schizophren-Kranke sehr gerne in Großstädte.

Da gibt’s Glasfaserkabel, highspeed, Internet, Lieferservice, kurze Strecke zur Arbeit. Man kann sich die Menschen aussuchen, mit denen man verkehren will, und seit meinem Berlin-Besuch weiß ich, dass in unserer Hauptstadt größere wie kleinere Welt-Blasen rumschwirren. Abgeschottet, sich mit Wissen selbstbefruchtend.

„Grenzenfreie Welt“?? Staatsgrenzen und Geschlechter wohl eingeschlossen. So etwas kann nur aus einem unbewegten Kopf kommen. Einem sitzenden Denker. Angefettet. Schwere Herren, die mit Zigarre und Rum in Ohrensesseln liegend den Welthandel besprechen. Weltfremd. Schizophren.

Der Läufer, jeder Chirurg, jede Krankenschwester, jeder Leistungssportler schüttelt da den Kopf. Und macht weiter…

Das Internet macht uns schizophren. Jeden.