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Die "Vitaminlüge" des Spiegels beruft sich nicht auf ein paar Hundert aussagekräftige Studien, sondern auf genau 4. Die ich inzwischen begründet Schrottstudien nenne. Und die ich all überall im Internet, in der Presse wieder finde. Zitiert werden, wenn es um die Schädlichkeit von Vitaminen geht, immer gerade diese vier Studien.
Die ersten drei Studien hatte ich Ihnen ausführlich beschrieben. Beginnt mit den zwei "Betacarotin macht Lungenkrebs beim Raucher" von 1994 und 1996. Die selbst die Studienleitung (National Cancer Institute) inzwischen kritisiert, und sagt: Heute würde sie diese Studien nicht mehr machen. Weil das Ergebnis von vorneherein zu erwarten war. Ergebnis? Schauderliche 1 Promille mehr Lungenkrebs beim Raucher. Vergessen wird zu sagen: Und beim Nichtraucher selbstverständlich weniger Lungenkrebs. Betacarotin schützt den normalen Menschen. Nirgendwo abgedruckt.
Die dritte Studie nannte sich SELECT. Handelt von der geisterhaften Fernwirkung. Von der sensationellen Feststellung, dass eine Krebsrate (um 0,41% absolut) ansteigt dann, wenn die Leute 2 Jahre kein Vitamin E mehr schlucken. Eine sensationelle Entdeckung: Da muss man dringend jedem Raucher raten, bitte nicht mit dem Rauchen aufzuhören. Denn zwei Jahre später würde er dann Krebs bekommen. Da muss man dringend jedem Alkoholiker raten, doch bitte nicht mit dem Trinken aufzuhören. Denn zwei Jahre später würde er dann krank werden. Und das veröffentlicht der Spiegel!
Viel hübscher, spannender, unterhaltsamer aber die vierte Studie. Vitamine töten. Schon 2007 im deutschen Fernsehen breit aufgemacht, 2010 mehrfach wiederholt. Sensationelle Story! Darf ich?
Gluud sammelte in JAMA 2007,297(8) zehntausende Vitaminstudien, aus welchen er 815 gute auswählte. Diese 815 Studien teilten die Forscher dann in "methodisch gute" und "methodisch weniger gute" Studien auf, wobei die Kriterien von den Autoren selbst stammen. Tja. Jedenfalls blieben 68 Studien übrig. An diesen 68 wurde die Mortalitätsrate, also der Todesfall untersucht, obwohl sich nur 21 dieser Studien überhaupt mit dieser Fragestellung befasste.
Einige Studien arbeiten mit lächerlichen Fallzahlen (15 bis 25 Patienten). Ich wusste bisher nicht, dass man das als Studie veröffentlichen darf.
Die Studien verraten in einem Todesfall nicht, woran der Teilnehmer verstorben ist. Beim Autounfall?
Eingeschlossen wurden sogar Studien, in welchen Vitamine nur einen einzigen Tag gegeben wurde. Nenne ich Verhöhnung der Wissenschaft.
Aber selbst dann ergaben die 68 Studien nichts. Erst als man 21 dieser 68 Studien verwarf (in diesen 21 fand man nämlich eine Verlängerung des Lebens durch Vitamine) konnte man bei dem Rest ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko für Vitamin A (16%), Betacarotin (7%), Vitamin E (4%), Vitamin C (6%) errechnen. Selen andererseits verringerte das Sterblichkeitsrisiko um 10%, verlängerte also das Leben. Davon im Spiegel was gelesen?
Fazit: Das Ganze war dermaßen lächerlich, dass diese Metaanalyse in der Fachpresse höflich ignoriert wurde. Nicht vom deutschen Fernsehen. Aber weiter geht's:
2008 veröffentlichten die gleichen Autoren diese Metaanalyse (Cochrane Database Syst Rev. 2008 Apr 16;(2) fast identisch ein zweites Mal. Auf diese neue Studie beruft sich der Spiegel. Diesmal wurden rund 232.000 Patienten aus 67 Studien eingeschlossen. Mal kräftig mitlachen?
In der Fachpresse ist diese Studie durchgefallen. Nicht für den Spiegel! Sicher nicht für den SPD-Gesundheitsexperten Prof. Dr. Lauterbach. Und natürlich nicht für das Deutsche Fernsehen. Sie, liebe Leser, haben mir ja immer wieder aufgeregt geschrieben: "Wussten Sie, Dr. Strunz, dass Vitamine töten? War gestern im Fernsehen".
Kommt mir alles vor wie die Kriegsberichterstattung im Irak. Haben Sie da je einen einzigen wahren Satz gehört?
Spiegeljournalisten, so hört man, recherchieren gründlich. Wägen objektiv ab. Nehmen wir also einfach an, dass sie beim Verfassen der "Vitaminlüge" einen schlechten Tag gehabt hatten. Ausnahmsweise...