Lässt sich ein chronisch erhöhter stressbedingter Cortisolspiegel am Gesicht erkennen? Mit anderen Worten, gibt es tatsächlich ein „Cortisolgesicht“, aufgedunsen und mit Hamsterbäckchen?? So zumindest wird es in Moment auf einigen Social-Media-Kanälen behauptet.

Vertreter der klassischen Schulmedizin, die natürlich direkt befragt wurden, bestreiten dies vehement.

Aber so abwegig ist das gar nicht: Die Schulmedizin kennt die relativ seltene Erkrankung, Morbus Cushing, bei der es zu sehr hohen Cortisolspiegeln kommt. Und zwar unabhängig von Stress. Menschen mit Morbus Cushing entwickeln oft typischerweise das so genannte Vollmondgesicht (Facies lunata), da der ständig hohe Cortisolspiegel zu einer vermehrten Fetteinlagerung im Gesichtsbereich führt.

Cortisol ist unser wichtigstes Stresshormon. Es entsteht in der Nebennierenrinde. Ich nenne es auch das Überlebenshormon.

In vielen Jahrtausenden der Evolution hat Cortisol nämlich dafür gesorgt, dass wir überleben konnten. Dass wir vielen Gefahren in unserer Umwelt trotzen konnten. Wenn der Säbelzahntiger um die Ecke kam, galt es, alle körperlichen Reserven zu mobilisieren und die Beine in die Hand zu nehmen. Die Muskulatur, inklusive des Herzmuskels, musste ad hoc Höchstleistungen vollbringen. Gleichzeitig musste unser Zentralcomputer im Gehirn für absolute Konzentration und Aufmerksamkeit sorgen.

Für all das brauchen Muskel- und Gehirnzellen schnelle Energie in Form von Zucker. Cortisol sorgt dafür, dass der Zuckerspeicher (Glycogen) in der Leber abgebaut und Zucker schnell im Blut zur Verfügung gestellt wird. Gleichzeitig wird auch Protein im Muskelgewebe abgebaut und ebenfalls der Zuckergewinnung geopfert. Der Körper ist im absoluten „fight-or-flight“-Modus. Blutdruck, Puls und Blutzucker sind in Phasen des Überlebenskampfes deutlich erhöht.

Kämpfen oder Flüchten gelingt dem Körper dank der Kraft von Cortisol. Das hat unsere Vorfahren überleben lassen.

Fast jede Körperzelle ist mit Cortisolrezeptoren ausgestattet, so dass im Notfall der gesamte Körper in den Alarmzustand bzw. in den Fight-and-Flight-Modus versetzt wird. Cortisol ist fettlöslich und kann problemlos die Doppellipidmembranen unserer Körperzellen durchdringen. Die Verteilung der Rezeptoren ist aber nicht überall gleich, besonders viele Cortisol-Rezeptoren finden wir im Bauchbereich.

Ein andauernd erhöhtes Cortisol signalisiert dem Körper eine Notsituation und für Notzeiten baut er vor, indem er vermehrt Fett einlagert. Vor allem als viszerales Fett.

Dieses Fett ist bekanntermaßen besonders gefährlich, da es entzündliche Prozesse fördert und das Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht.

Auch das Gesicht besitzt eine Menge dieser Rezeptoren, nicht so viel wie am Bauch, aber doch einige. Dies erklärt das Phänomen des "Cortisolgesichts", das in letzter Zeit in den sozialen Medien diskutiert wird. Dauerstress mit hohen Cortisolspiegeln macht uns dick und aufgeschwemmt.

Das Cortisolgesicht geht allerdings immer mit dem typischen Cortisolbauch einher. Nicht zu vergessen mit den ebenfalls typischen dünnen Cortisol-Beinchen, die durch den anhaltenden Proteinabbau entstehen.

Heutzutage haben wir keine Säbelzahntiger mehr. Wir kämpfen den täglichen Kleinkrieg mit unseren Kollegen, Kindern oder dem Partner. Diese Form des täglichen „Überlebenskampfes“ ist für den Körper ebenfalls purer Stress. Es laufen dieselben archaischen Stoffwechselmuster ab wie bei der Begegnung mit dem Säbelzahntiger bei unseren Vorfahren. Das große Problem ist jedoch, dass wir unseren modernen Tigern täglich begegnen.


Quellen:
Bavaresco A, Mazzeo P, Lazzara M, Barbot M. Adipose tissue in cortisol excess: What Cushing's syndrome can teach us? Biochem Pharmacol. 2024 May;223:116137. doi: 10.1016/j.bcp.2024.116137. Epub 2024 Mar 15. PMID: 38494065.

Vogelzangs N, Penninx BW. Depressieve klachten, cortisol, visceraal vet en metabool syndroom [Depressive symptoms, cortisol, visceral fat and metabolic syndrome]. Tijdschr Psychiatr. 2011;53(9):613-20. Dutch. PMID: 21898316.


Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.