Eine elegante Erklärung, weshalb manche Leute depressiv werden, andere wiederum nicht. Habe ich soeben gelesen. Möchte ich Ihnen unbedingt mitteilen, weil Sie mir sehr treffend erscheint.

Denn uns allen ist bewusst, dass es hier Unterschiede gibt. Dass zwei Menschen in der gleichen Situation eben unterschiedlich reagieren. Der eine bleibt stabil, der andere verfällt der Depression. Weshalb gerade der?

Die Geschichte beginnt mit einem IQ-Test. Nach einer alkoholisierten Nacht, also unter denkbar schlechten Voraussetzungen. Resultat: IQ 102. 100 heißt Durchschnitt. Also Durchschnitt. Nichts Besonderes. Und daraus resultiert der folgende Monolog:

    „Die Erkenntnis, nichts Besonderes zu sein, überfällt die meisten Menschen einmal in ihrem Leben, nicht selten gegen Ende der Schulzeit oder zu Beginn der Berufsausbildung, und die intelligenteren eher als die unintelligenten.

    Aber nicht alle leiden gleich stark darunter. Wer mit den Idealen des persönlichen Verdienstes, der Leistung, des Herausragens als Kind nicht ausreichend vertraut gemacht worden ist, wird das Bewusstsein blasser Durchschnittlichkeit vielleicht hinnehmen wie eine zu große Nase oder zu dünnes Haar.

    Andere wieder reagieren darauf mit den bekannten Fluchtbewegungen, die von exzentrischer Kleidung über exzentrisches Leben bis hin zur ehrgeizigen Suche nach einem Selbst reichen können, das im eigenen Inneren vermutet wird wie ein prächtiger verborgener Schatz, welchen die gnädige Psychoanalyse auch dem letzten Trottel zugesteht.

    Und die Sensiblen reagieren mit einer Depression.“

Drei Voraussetzungen werden hier postuliert, um leichter als andere in eine Depression zu verfallen. Nämlich:

  • Intelligenz
  • Erziehung zur Leistung
  • Sensibilität

Na, da fühlt man sich als Depressiver doch gleich ein bisschen besser, oder?

Quelle: Wolfgang Herrndorf „Sand“ bei Rowohlt. Seite 11