„Woher wissen denn die Blumen, dass sie aus dem Winterschlaf erwachen sollen?”, fragte mich letzte Woche mein jüngster Sohn beim Anblick der vielen lila blühenden Krokusse bei uns im Stadtpark. Ich habe versucht ihm zu erklären, dass alles in der Natur regelmässigen, wiederkehrenden Zyklen unterliegt. Jeder Tag, jeder Monat, jedes Jahr (Jahreszeiten!). Der Taktgeber ist immer das Sonnenlicht.

Auch wir Menschen sind Teil der Natur und unterliegen somit auch ihren Rhythmen. In vielen traditionellen Heilsystemen, wie z.B. im Ayurveda oder in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) spielen diese Rhythmen eine große Rolle in der Prävention und Therapie von Erkrankungen. In der westlichen Medizin werden diese bislang kaum beachtet. Dabei ist schon seit den 1960er Jahren bekannt, dass z. B. Melatonin, unser so genanntes Schlafhormon, die regelrechte Ausschüttung der Schilddrüsenhormone reguliert. Seit den 1980er Jahren ist bekannt, dass praktisch sämtliche hormonelle Prozesse tageszeitlichen Schwankungen unterworfen sind.

Im Jahr 2017 wurde der Nobelpreis für Medizin an die drei Forscher Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young für die Erforschung der inneren Uhr des Menschen verliehen. Diese besteht aus einem komplexen System von vielen einzelnen biologischen Uhren, die den natürlichen 24-Stunden-Rhythmus des Körpers steuern. Jede Zelle hat ihren eigenen Zeitmesser, der von einer gemeinsamen Schaltzentrale, dem suprachiasmatischen Nukleus im Gehirn, koordiniert wird. Die Erkenntnisse der Chronobiologie ermöglichen ein tieferes Verständnis davon, wie der menschliche Körper mit dem Tagesrhythmus interagiert und wie verschiedene physiologische Prozesse zeitlich koordiniert werden. Unsere innere Uhr steuert nicht nur den Schlaf-Wach-Rhythmus, sondern beeinflusst auch Hormonspiegel, Stoffwechsel, Immunsystem, Körpertemperatur und sogar unsere Verhaltensweisen.

Seit Beginn der Evolution sind wir z.B. an den Tag-Nacht-Rhythmus angepasst. “Dank” elektrischem Licht (in Europa seit ca. 100 Jahren fast flächendeckend erhältlich) machen wir oft die Nacht zum Tag und stören damit unsere innere Uhr erheblich. Mit massiven Folgen für unsere Gesundheit, die wir jetzt dank der Nobelpreisträger von 2017 erst langsam beginnen zu verstehen.

Der Taktgeber ist das Sonnenlicht, für den Krokus genauso wie für den Menschen. Ohne das Sonnenlicht sind unsere Milliarden innerer Zell-Uhren nicht synchronisierbar und es herrscht Chaos.

Wie können wir unsere innere Uhr wieder in den Takt bringen, indem wir dem Zeitgeber, das natürlich Licht, wieder in unserem Leben seinen Platz einräumen, wie es seit Beginn der Evolution, bis vor ca. 100 Jahren der Fall war. Also raus ins Freie, ins Licht während des Tages.

Vor dem Zubettgehen hingegen sollte grelles Licht gemieden werden, also möglichst keine Zeit mehr vor Fernseher oder PC verbringen. Wenn dies unvermeidbar sein sollte, hilft eine so genannte Blue-Blocker-Brille. Diese Brillen mit gelben oder bernsteinfarbigemen Filtergläsern können die kurzwelligen Anteile des Umgebungslichtes herausfiltern, welche die Bildung von Melatonin am stärksten stören. Auch intergrierte Blauchlichtfilter im PC oder Handy können unsere innere Uhr ein Stück weit schützen.

Aber vor allem ist es wichtig, regelmässig und ausreichend zu schlafen. Unser Körper braucht diese Rhythmen. Daher ist es nicht spießig, täglich zur selben Zeit ins Bett zu gehen (auch am Wochenende), sondern ein entscheidender Akt der Prävention.

Wenn die innere Uhr wieder ins Lot kommt, merken wir dies auch an einer Normalisierung der Körpertemperatur. Die Menschen zu Zeiten von Dr. Wunderlich (siehe News vom 06.4.2024) kannten kein elektrisches Licht (die Glühbirne wurde erst nach seinem Tod erfunden). Sie nutzen Sonnenlicht, Kerzen und Gaslampen. Sie waren noch im Takt der Natur. Wir sind es größtenteils nicht mehr.

Quellen:

https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2017/press-release/

BASCHIERI L, DE LUCA F, CRAMAROSSA L, DE MARTINO C, OLIVERIO A, NEGRI M. Modifications of thyroid activity by melatonin. Experientia. 1963 Jan 15;19:15-7. doi: 10.1007/BF02135330. PMID: 13969822.

Simpkins C. Thyroid hormone in biological rhythms. Med Hypotheses. 1983 Oct;12(2):179-84. doi: 10.1016/0306-9877(83)90080-4. PMID: 6318057.


Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.